Von Heribert Knott (Gruppenpsychotherapie, gruppenanalytisch)
Christiane Pennecke (Gruppenpsychotherapie, verhaltenstherapeutisch)
unter redaktioneller Mitarbeit der Vorstände beider Vereine
Einleitung
In jüngster Zeit findet die Gruppenpsychotherapie immer mehr Aufmerksamkeit von Patienten, Psychotherapeuten, Krankenkassen und Politik. Der Berufsverband der Approbierten Gruppenpsychotherapeuten (BAG) und die Deutsche Gesellschaft für Gruppenanalyse und Gruppenpsychotherapie (D3G) zeigen aus diesem Grund die Möglichkeiten der Gruppenpsychotherapie auf. Dies soll Grundlage für eine breite gesundheitspolitische Diskussion sein.
Im inzwischen verabschiedeten Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD bezüglich der 18. Legislaturperiode „Deutschlands Zukunft gestalten“ ist festgehalten: „Wir wollen in der psychotherapeutischen Versorgung Wartezeiten reduzieren und mehr Betroffenen ein zeitnahes Angebot für Kurzzeittherapie eröffnen. Hierzu werden wir das Antrags- und Gutachterverfahren entbüro- kratisieren, die Gruppentherapie fördern und den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragen, in einer gesetzlich definierten Frist die Psychotherapierichtlinie zu überarbeiten. Die Befugnisbeschränkungen für Psychotherapeuten werden wir überprüfen“ (S. 54).
Im Positionspapier des GKV-Spitzenverbandes vom 27.11.2013 wird auf S. 8 angemerkt, dass die ambulante psychotherapeutische Versorgung überwiegend durch die Einzeltherapie erfolgt und nur 2 % der Therapien im Gruppensetting stattfinden. Dieser Umstand sei insofern kritisch zu sehen, als die Ein-eltherapie höhere Ressourcen erfordere, während die Gruppenpsychotherapien einen wesentlich höheren organisatorischen Aufwand benötigten.
Aus Anlass dieser beiden statements nehmen der BAG und die D3G folgendermaßen Stellung:
Die Gruppenverfaßtheit des Menschen
Der Mensch ist ohne Gruppenzusammenhang nicht denkbar. Er wird in eine Familie geboren. Schon während der Schwangerschaft ist eine gute soziale Umgebung für Mutter und Ungeborenes unabdingbar zur gedeihlichen Entwicklung. Die Bedeutung des Gruppenkontextes ist nach der Geburt nicht geringer. Man kann in der Familie, aber auch in der Gesellschaft als ganzer eine schützende Hülle für die Mutter/Vater/Kind-Beziehung sehen.
Mit zunehmendem Alter wird die Beziehung des Kindes/Jugendlichen zur Gruppe auch äußerlich deutlich. In Kindergarten und Schule werden diese Gruppen noch von Erwachsenen geleitet. Die Jugendlichen organisieren aber ihre sogenannten „peer-groups“ bereits selbst. Erwachsene bewegen sich schließlich sowohl in selbstorganisierten als auch fremdgeleiteten Gruppen.
Bewusst ist uns die Gruppenverfaßtheit des Menschen nur in ganz bestimmten Situationen. Der Säugling weiß nichts davon und auch als Erwachsene müssen wir uns die Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Gruppen, denen wir angehören, meist erst vergegenwärtigen.
Bewusst ist uns in der Regel auch nicht, dass wir in Zweierbeziehungen immer auf die Unterstützung einer oder mehrerer Gruppen angewiesen sind: „Die Gruppe spricht immer ein Wort mit.“ Das heißt, zwei Menschen, die „allein“ zusammen sind, berücksichtigen unbewusst in jedem Augenblick ihr gemeinsames Verhalten im Hinblick auf Auswirkungen und Urteile von Familie, Kollegen – ihrer Umgebung ganz allgemein. Selbst der Einsiedler im Wald ist besser zu verstehen, wenn man die Gruppe kennt, der er zu entrinnen versucht.
Zusammengefasst gibt es also zwei unterschiedliche Formen der Gruppenzu gehörigkeit: die dem Menschen selten bewusste „primordiale“ Gruppenverfaßtheit und die bewusste Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.
Obwohl die Gruppenverfaßtheit des Menschen in der Regel ganz selbstverständlich ist, bleibt sie oft unbewußt und wird nicht hinterfragt. Menschen haben aber auch Angst vor Gruppen, insbesondere vor therapeutischen Gruppen. Das gilt für Patienten wie Therapeuten. Die Angst in therapeutischen Gruppen speist sich demnach aus diesen beiden sehr unterschiedlichen Quellen. In der primordialen „unbeabsichtigten“ Gruppenverfaßtheit spielt oft die Angst eine Rolle, den eigenen abhängigen Teil in einer Gruppe nicht von ihr gehalten zu fühlen. Dazu kommt die meist bewusste „erwachsene“ Angst des Individuums in der selbst gewählten Gruppe, von ihr ausgeschlossen oder ver- urteilt zu werden.
Gruppenpsychotherapie:
Behandlungsform erster Wahl für sehr viele Patienten
Der Beginn der Gruppenpsychotherapie datiert in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Nach der Integration der Psychotherapie in die Kassenärztliche Versorgung 1967 wurde auch die Gruppenpsychotherapie Bestandteil der am- bulanten Versorgung in Deutschland. Trotz der „Blüte“ des Gruppengedankens in den 1970er Jahren und der Tatsache, daß Gruppenpsychotherapie im stationären Setting immer wichtiger wurde und heute in den Kliniken zur Regelversorgung gehört, ist der Anteil der Gruppenverfahren in der ambulanten Praxis nach wie vor sehr gering.
Aktuell haben wir es mit der Paradoxie zu tun, dass sehr viele Psychotherapeuten die Zulassung zur Gruppenpsychotherapie haben. Der bei weitem größte Teil dieser Kollegen praktiziert aber nicht als Gruppenpsychotherapeut. Dies ist sehr erstaunlich, denn fast alle Zugelassenen haben sehr gute Erinnerungen an ihre Gruppenausbildung und viele geben an, von der Gruppenausbildung mehr als von der Einzelausbildung profitiert zu haben.
Diesen ungeklärten Fragen müssen wir weiter nachgehen. Vergegenwärtigt man sich die Möglichkeiten, welche die Gruppenpsychotherapie den Patienten bietet, ist es noch erstaunlicher, dass Gruppenpsychotherapie im Lauf der Zeit nicht zur Regelbehandlung geworden ist.
Hier sind die Stärken der Gruppenpsychotherapie zusammengefaßt:
Gruppen sind das natürliche Umfeld des Menschen
Ohne Gruppen kann es keine Entwicklung geben
In therapeutischen Gruppen fühlt sich der Mensch oft unwillkürlich ängstlich und kann diese Angst erforschen.
Die Übertragungen werden in Gruppen besonders deutlich. Vor allem ist ein Nebeneinander vielfältiger Übertragsmuster möglich. Unter kompetenter Gruppenleitung erleichtert dies Erkennen, Durcharbeiten und Reifung.
Soziale Konflikte werden in Gruppen offensichtlicher und damit leichter bearbeitbar.
Gruppen haben hinsichtlich der Bewältigungsstrategien Modellwirkung
Gruppen können Menschen Solidarität bezüglich ihrer Stärken und
Schwächen erlebbar machen.
Gruppen fördern empathisches Verstehen und verantwortliches Verhalten
Gruppen bieten die Möglichkeit für direktes Feedback zum eigenen Verhalten
Die soziale Reifung wird in Gruppen sehr erleichtert. Dies wird ermöglicht durch die Gleichzeitigkeit von Regression und Realitätskontrolle.
Gruppen fördern Authentizität, Entwicklung von persönlicher Autorität und Feingefühl.
Gruppenpsychotherapien haben hinsichtlich Wirkung und Wirksamkeit (efficience and efficacy) für die meisten psychischen Störungen eine gleich gute und im Falle von Persönlichkeitsstörungen und einer Reihe von anderen Erkrankungen (z.B. Angststörungen und affektive Störungen) eine höhere Effektstärke als andere Psychotherapien im prä-post-Vergleich (s. Literaturliste im Anhang).
Natürlich hat auch die Behandlung in Gruppen Grenzen. Es gibt bestimmte Patienten und Krankheitsbilder für die eine Gruppenpsychotherapie nicht geeignet ist (Kontraindikationen). Der Katalog der Kontraindikationen verkleinert sich jedoch mit der Erfahrung der Gruppenleiter und der Qualität der Ausbildung.
Eine Investition in die Güte der Ausbildung lohnt sich deshalb in jedem Falle. Die Fachgesellschaft D3G hat zu diesem Zweck ein neues Gremium gegründet, den Beirat der Weiterbildungsstätten. Die schon vorhandenen Aus- und Weiterbildungsrichtlinien der D3G werden auf wissenschaftlicher Basis intensiv weiterentwickelt, obwohl sie im Vergleich mit den aktuellen Psychotherapierichtlinien oder der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer schon deutlich anspruchsvoller sind. Zusammen mit dem Berufsverband BAG wird gegenwärtig versucht, die Gruppenpsychotherapie als eigenständiges Verfahren in die Musterweiterbildungsordnungen für Ärzte und Psychologen aufzunehmen.
Vorschläge von BAG und D3G für die Weiterentwicklung der Gruppenpsychotherapie
Gleichbehandlung von Gruppen- und Einzelpsychotherapie im Krankenkassen-Antragsverfahren
Gruppenpsychotherapien sollten bezüglich des Antragsverfahrens der Richtlinien-psychotherapien sinnvoll und adäquat gestaltet werden (ein Bericht pro Gruppe und Jahr)
Gruppenpsychotherapie sollte in die Weiterbildungsordnungen der ärztlichen, psychologischen und Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten aufgenommen werden.