Heterogenität in Gruppen – verwirrend oder bereichernd? Zum zweiten Fachkongress des BAG vom 05. - 06. November 2005 in der Katholischen Akademie haben die Organisatoren Heribert Knott, Kurt Höhfeld und Stephan Heyne darauf geachtet, ein möglichst breites fachliches Spektrum der Referenten zu erreichen, sozusagen für Vielfalt zu sorgen. Sie waren deshalb froh, u. a. einen prominenten Vertreter der Verhaltenstherapie in Gruppen gewonnen zu haben. Herr Prof. Zielke hat auch eine Arbeitsgruppe angeboten, in der die Teilnehmer am eigenen Beispiel die Unterschiede und Gemeinsamkeiten beider Verfahren herausarbeiten können. Felix de Mendelssohn, Thomas Mies und Dieter Nitzgen sprachen als ausgewiesene Fachleute mit ihrer reichen Erfahrung in ihren Themen über Aspekte der Heterogenität in kleinen und großen Gruppen. Dabei wurde auch die immer wichtiger werdende kulturelle und soziale Dimension des Themas aufgegriffen.
Mithilfe der Workshops wurde die gemeinsame Arbeit in speziellen Themen vertieft. So ist es bei Helmut Enke um das Krankenkassenantragsverfahren gegangen. Ein spezifisches Antragsverfahren aus gruppenpsychotherapeutischer Sicht ist ja ein altes Ziel des BAG. Peter Kutter hat eine Arbeitsgruppe geleitet, die die Rolle des Außenseiters – Indexpatient für Heterogenität – untersucht. Intervisionsgruppen boten Gelegenheit, individuelle Erfahrungen der Teilnehmer mit Heterogenität in Gruppen zu diskutieren.
Dabei orientierten sich alle an folgenden Fragen:
- Wann haben wir mit Recht Angst vor einer zu großen Vielfalt?
- Wie gehen wir vor, wenn wir das Gefühl haben, eine Gruppe ist zu homogen?
- Sind in den psychodynamischen Verfahren andere Kriterien wichtig als in der Verhaltenstherapie?
Falls Sie an einzelnen Vorträgen interessiert sind, stehen sie hier zum Herunterladen bereit. Nach der Aufzählung der Dateien finden Sie hier auch den Kongressbericht.
Dann hier die PDF-Dateien:
<link fileadmin content dokumente>01_Tagung 2005 BAG Faltblatt
<link fileadmin content dokumente>02_Programm 2. Fachtagung BAG.pdf
<link fileadmin content dokumente>03_Felix de Mendelssohn E pluribus unum – Schmelztiegel oder Multikulti Die Therapiegruppe als politische Metapher
<link fileadmin content dokumente>04_Thomas Mies Der Unterschied in der Gruppe
<link fileadmin content dokumente>05_Manfred Zielke Störungsspezifische Konzepte Text
<link fileadmin content dokumente>06_Manfred Zielke Störungsspezifische Konzepte Tabellen
<link fileadmin content dokumente>07_Dieter Nitzgen Das Gleiche ist nicht Dasselbe
<link fileadmin content dokumente>08_Protokoll AG Helmut Enke_2. FT
Heribert Knott, der damalige Vorsitzende des BAG verfasste auch nach diesem Kongress wieder einen zusammenfassenden Bericht:
Bericht vom zweiten Fachkongress des BAG 2005
Am 5. und 6. November 2005 fand in Berlin die 2. Fachtagung des BAG „Heterogenität in Gruppen – verwirrend oder bereichernd?“ statt. Zu den Vorträgen und Arbeitsgruppen waren gut 80 Teilnehmer erschienen. Erstmals fand eine gruppentherapeutische Fachtagung gemeinsam mit verhaltenstherapeutisch und psychodynamisch orientierten Gruppenpsychotherapeuten statt.
Im Mittelpunkt stand die Frage, ob es sinnvoll ist, Gruppen heterogen zusammenzusetzen. Dazu dienten einerseits Vorträge über die kulturellen Grundlagen der Gruppentherapie und andererseits spezifische Vorträge zu störungs- und problemspezifischen Gruppen in der Verhaltenstherapie und der psychodynamischen Gruppenpsychotherapie.
Voran schicken möchte ich einige Gedanken zur Gruppenverfasstheit des Menschen, die mir auf dem Hintergrund unseres intensiven Gedankenaustauschs während der Tagung über das Gruppenspezifische klar wurden. – Bevor der Mensch sich bewusst wird, dass er ein Ich ist, lebt er zunächst rein körperlich-seelisch als ganzheitliches Wesen. Die ersten Phantasien des Menschen sind Gruppenphantasien. (Beland, 1997; Meltzer, 1986) Und zwar handelt es sich um Gruppen von Gefühlen und Phantasien, die anfangs nur teilweise, später immer mehr mit bestimmten Menschen bewusst verbunden werden. Wenn sich das Ich des Menschen gebildet hat, er also ein soziales Wesen im engeren Sinne werden kann, begibt er sich in Gruppen in dem Sinne, was wir unter sozialen Gruppen verstehen. Es ist sinnvoll, die frühen Gruppenphantasien des Menschen zu unterscheiden von denjenigen Gruppenphantasien, die er später entwickelt. Die frühe psychosomatische Verbundenheit mit den anderen Menschen ist eine andere Verbundenheit als diejenige, die man zu bewussten sozialen Zwecken eingeht. Beides spielt natürlich eine große Rolle in jeder konkreten Gruppe.
Wenn wir eine Gruppe zusammenstellen, stellen wir eine Gruppe im letztgenannten, reiferen Sinne zusammen und verfolgen bewusste soziale Zwecke. Dennoch lässt sich die psychosomatische Verbundenheit nicht vernachlässigen, sie spielt sicher im Heilungsprozess eine große Rolle, auch wenn das explizit so gut wie nie erwähnt wird. Dies ist einer der Wirkfaktoren, der in der Gruppentherapie eine wesentlich größere Rolle spielt als in der Einzelpsychotherapie. Der Einzelpsychotherapeut, der wir ja auch alle sind, muss sich in so fern umstellen. Bei den Diskussionen während des Kongresses konnte man merken, dass wir Gruppenexperten dies unwillkürlich tun. Unabhängig von unserer gruppentherapeutischen Ausrichtung konnten wir uns in die Gruppensituationen der verhaltenstherapeutischen und der psychodynamisch geführten Gruppen ohne weiteres einfühlen. Verständigungsschwierigkeiten traten immer nur auf, wenn das Erlebte in der jeweils anderen theoretischen Sprache formuliert wurde.
Die versammelten Fachleute aus dem verhaltenstherapeutischen und dem psychodynamischen Bereich waren sich schnell einig, dass es homogene Gruppen im strengen Sinne nicht gibt. Es gibt sie nicht, weil es keine identischen Störungen gibt, und es gibt sie nicht, weil sich die Persönlichkeiten unserer Patienten auch immer zumindest ein wenig unterscheiden.
Die Tagung war so aufgebaut, dass zunächst nach der Einführung ein allgemeiner Vortrag über die Therapiegruppe als politische Metapher von Felix de Mendelssohn gehalten wurde: „E pluribus unum – Schmelztiegel oder multikulti?“ Er führte uns in ein sozialtherapeutisches Experiment im multikulturellen Wien. Der psychosoziale Kontext der Gruppentherapie wurde uns sehr eindrücklich vor Augen geführt, die Gruppensituation als Behälter für oft extrem heterogene Inhalte verstanden. – Leider wurde das Projekt durch Geldmangel vorzeitig beendet. In der Diskussion des Beitrags wurde die Tatsache, dass das Abschiedsfest mit einer Zerstörung des Zentrums durch die Randgruppe endete, als Ausdruck der Wut gegen die Stadt verstanden, nach dem Motto: „Wir lassen uns nicht kaputt machen, lieber zerstören wir selbst!“
Anschließend fanden Arbeitsgruppen statt, über die ich weiter unten kurz berichte. Unter der Überschrift „ Theoretische Gesichtspunkte zur Heterogenität“ legte uns Thomas Mies grundsätzliche Aspekte zum Heterogenitätsbegriff dar. Es wurde z.B. der Heterogenitätsbegriff nicht auf die Perspektive des Gruppenleiters beschränkt, sondern um die Sichtweise der Patienten erweitert.
So waren wir gut vorbereitet, um von Manfred Zielke in einem umfangreichen Vortrag über „störungs- und problemspezifische Gruppen in der Verhaltenstherapie“ und seine Forschungsresultate informiert zu werden. Ein sehr differenziertes, reiches Bild über die sorgfältige Vorgehensweise mit besonderer Berücksichtigung der Transparenz für den Patienten wurde uns präsentiert.
Der letzte Vortrag des zweiten Tages wurde von Dieter Nitzgen gehalten: „Das gleiche ist nicht Dasselbe.“ Sehr deutlich wurde uns beschrieben, wie unterschiedlich in einer störungsspezifischen klinischen Gruppenpsychotherapie die einzelnen Gruppenmitglieder sind und reagieren. Die psychodynamischen und gruppenanalytischen Folgerungen aus dieser Tatsache wurden mithilfe der OPD (Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik) erläutert und in ihrer Wirksamkeit beschrieben.
Die vier Arbeitsgruppen während der Tagung beschäftigten sich mit dem Außenseiter in der Gruppe (1), mit den Unterschieden in den Interventionsstilen in verhaltenstherapeutischen und psychodynamischen Verfahren (2) und (neben einer Intervisionsgruppe, 3) schließlich in einer Konzeptgruppe (4): „Entwurf für einen gruppenspezifischen Bericht an den Gutachter im Antragsverfahren“. Über letztgenannte Gruppe will ich genauer berichten. Denn diese Gruppe erarbeitete den Vorschlag, dass es wünschenswert ist, wenn im Krankenkassenantragsverfahren ein einziger Gutachter die Berichte über alle Patienten einer Gruppe beurteilt. Es wurde sehr differenziert begründet, dass dadurch die Qualität des Gutachterverfahrens erheblich zu steigern wäre. Der Gutachter kann dann viel besser beurteilen, wie die Gruppensituation im einzelnen ist und wie die Gruppenteilnehmer miteinander interagieren. Der Behandler hat es leichter, zu verdeutlichen warum er einen bestimmten Patienten in die Gruppen nimmt und wie er die Gruppe insgesamt plant. – Inzwischen konnte dieser Vorschlag durch den BAG ausgearbeitet und im Rahmen der gesetzlichen Krankenkassen auch verwirklicht werden. – Die Entwicklung eines auch inhaltlich gruppenadäquateren Berichtsformulars im Krankenkassenantragsverfahren bleibt eine Aufgabe für die Zukunft.
Das Abschlusspanel unter dem Titel: „Mut zu mehr Heterogenität“ war ein lebendiger Austausch unserer Erfahrungen während der Tagung im Zusammenhang mit unserer alltäglichen Praxis. Die Teilnehmer waren sich darüber einig, dass die natürliche Heterogenität auch in oberflächlich betrachtet homogenen Gruppen eine Bereicherung darstellt, und dass man insgesamt viel weniger Angst vor der Vielfalt haben muss, als man es sich manchmal vorstellt.
Im Grunde vertritt der BAG den Gruppengedanken in der Psychotherapie. Es wurde allen Beteiligten während der Tagung noch einmal intensiv deutlich, dass die Gruppensituation etwas ganz Eigenes in der Psychotherapie darstellt. Die mögliche Verwirrung durch Heterogenität in Gruppen, aber auch durch die Heterogenität der psychodynamischen und verhaltenstherapeutischen Zugänge zu Gruppen stand gegenüber der erlebten Bereicherung ganz im Hintergrund.
Literatur
- Beland, H: Die schwere soziale Geburt des psychosomatischen Menschen oder das unbewusste Menschenbild in der psychosomatischen Medizin. In: ich bin doch krank und nicht verrückt. Attempto Verlag Tübingen 1997, S. 47 bis 62.
- Meltzer, D.: A Klein-Bion Model for Evaluating Psychosomatic states. In ders.: Studies in Extended Metapsychology; Clinical Applications of Bion´s Ideas. Cluny Press Oxford 1986, S 34 – 37.